«Auch meiner Teamkameradin merkte ich eine entsprechende Portion Nervosität an.»
Madlaina, 24 - Auszubildende Rettungssanitäterin
Es war so kurz vor Mittag und ein leichter Hunger machte sich in meinem Magen breit. Zusammen mit meiner Teampartnerin hätten wir in wenigen Minuten mit dem Zubereiten eines feinen Zmittags gestartet. Der Pager pfiff, das Funkgerät ertönte und auch unser Diensthandy klingelte. «Sturz» war die Einsatzmeldung. Nichts mit Mittagessen!
Vielleicht ist es noch wichtig zu erwähnen, dass ich mich damals eher frisch in der Ausbildung befand und eine überschaubare «Einsatzerfahrung» mitbrachte.
Bereits bei Dienstbeginn haben wir uns im Team geeinigt, dass ich heute den Rettungswagen fahre. Während der Anfahrt mit Blaulicht und Horn erhielten wir laufend neue Informationen von der Notrufzentrale, welche inzwischen ein kleines, aber für uns wichtiges Detail zum Vorschein brachte. Es handelte sich beim Patienten um ein Kind. Warum das einen für uns teilweise grossen Unterschied macht?
Du musst an andere Dosierungen, Normwerte, aber auch eine andere Kommunikation denken. Zudem sind meistens noch die Eltern vor Ort. Für sie sind solche Ereignisse meistens der blanke Horror.
Man sieht ihnen die Anspannung und Sorge an. Dann würden sie am liebsten mithelfen, wissen aber verständlicherweise auch nicht, wie sie das tun sollen.
Meistens – so meine Erfahrung – treffen wir dann auch wirklich auf Menschen, welche sich vollends in ihrer Elternrolle zeigen und enorm menschlich wirken. Keine Wut, kein Hass, sondern pure Sorge und Trauer.
Bei der Kindsmeldung auf dem Display ging mir nun lediglich etwas durch den Kopf:
«Oh nein. Wieso?!»
Damit meine ich nicht, wieso muss ich jetzt diesem Kind helfen, sondern wieso trifft es einen so jungen Menschen?
Aber anyway. Jetzt fahren wir dahin und geben wie immer unser Bestes.
Um mich selbst ein wenig zu beruhigen, redete ich mir volle Coolness auf der Fahrt zu. Einatmen, ausatmen, einatmen und wieder ausatmen.
Auch meiner Teamkameradin merkte ich eine entsprechende Portion Nervosität an.
Gross Gespräche haben wir auf der Anfahrt nicht geführt. Wir waren beide mit den Gedanken beim Einsatz, dem jungen Patienten und den Massnahmen, die wir nachher als Team treffen werden.
Wir bogen mit dem Rettungswagen um die Kurve zur genannten Einsatzadresse ein und sahen schon von weitem eine kleine Gruppe Menschen helfend um den jungen Patienten.
Wir hielten nun unmittelbar an der Unfallstelle an. Nun arbeiteten wir wie immer Hand in Hand und versorgten den kleinen Buben. In wenigen Sekunden konnten wir bereits feststellen, der Bub war kaum mehr ansprechbar und sein Zustand kritisch.
Nun kam auch das Team mit dem Notarzt als Verstärkung dazu und auch die Polizei traf ein.
Während wir gemeinsam mit dem Notarzt den kritischen Zustand des Jungen versorgten, stand plötzlich die Kindsmutter bei uns. Weinend und schreiend machte sie sich sorgen um ihr Kind. Das Kind war inzwischen vollends eingepackt auf unserem Rettungsbrett, verkabelt und auf dem Weg in den Rettungswagen.
Völlig ausser sich wurde sie nun von den anwesenden Polizist:innen betreut.
Es ist mir echt eingefahren, wie es ihr in diesem Moment ging. Aber ich konnte vollends mit ihr fühlen.
Am liebsten hätte ich ihr gesagt, dass alles gut werde.
Was ich aber in unserem Job bereits früh lernen musste, war, dass leere Versprechungen nie gut sind. Ein:e Patient:in, der*die in diesem Moment noch im stabilen Zustand in den Rettungswagen geladen wird, kann sich im nächsten Moment deutlich verschlechtern.
Mensch hat Mitleid, würde den Eltern am liebsten helfen, aber weiss zu diesem Zeitpunkt einfach nicht, wie man das anstellen soll.
Also, Fokus auf den Einsatz.
Nun kommt bereits die nächste grosse Herausforderung.
Ich soll einen sich im kritischen Zustand befindenden Jungen zügig mit Blaulicht und Horn ins Krankenhaus bringen und dennoch sicher am Zielspital eintreffen. Der Bub benötigt sofort eine klinische Versorgung. Also, zusammenreissen, Kopf einschalten und ruhig handeln.
Wie hat man mir mal so schön gesagt: «Mach langsam, es pressiert!».
Dieser Einsatz hat mich geprägt.
Nicht nur wegen des verletzten Kindes, sondern auch wegen der Mutter und meiner noch jungen Einsatzerfahrung. Schon bald darf ich meine Ausbildung abschliessen und meine Diplomarbeit widme ich nun dem Thema: Schädelhirntrauma. Das war das damalige Verletzungsbild, welches das Kind in eine gefährliche Lebenslage brachte.
Von aussen würdest du meinen Kolleg:innen all diese Emotionen meist gar nicht ansehen, denn wir arbeiten strukturiert und Hand in Hand.
Dennoch: Auch wir sind nur Menschen!