«Wir haben hart und ununterbrochen gearbeitet.»
Loris, 29 - Polizist
Mein Name ist Loris, und nach der kantonalen Polizeischule, die ich 2015 besucht habe, bin ich ein Beamter der Kantonspolizei.
Wir arbeiten immer zu zweit. Meistens lernt man eine:n Kollegen*Kollegin in ein paar Jahren besser kennen als einen Jugendfreund. Das schafft eine Basis des Vertrauens und der gegenseitigen Ergänzung, die ich in meinem beruflichen und privaten Leben nirgendwo anders gefunden habe. Dies und die Schulungen, die wir im Laufe der Jahre erhalten und fortsetzen, ermöglichen es uns, die Einsätze sicher und professionell durchzuführen.
Unsere Aufgabe ist nicht einfach. Sie erfordert Professionalität und Unnachgiebigkeit, aber auch, wo nötig, gesunden Menschenverstand und Nachsicht. Unser Handeln folgt immer dem Dialog, der unsere wichtigste „Waffe“ ist. Die Schwierigkeit, insbesondere für Anfänger:innen, besteht darin, sich selbst und seine Grenzen zu kennen. Und genau das erlebte ich am 24.11.2016, etwa 9 Monate nach meinem eigentlichen Einsatz.
Damals arbeitete ich in der Gegend von Lugano in der so genannten 2. Gendarmerie und ich war in der Frühschicht, die wir „Früh“ oder „T1“ nennen. Wir waren um 04:45 Uhr im Dienst in Noranco. Fast sofort erhielten wir einen Anruf von einem Verkehrsteilnehmer, der in Castagnola (Lugano) ein Nummernschild im See schwimmend entdeckt hatte. Es war nicht weit entfernt von einem durchbrochenen Geländer. Ein Umstand, der sofort das Schlimmste vermuten liess: Ein Verkehrsunfall, der sich in der Nacht ereignete und erst bei Tagesanbruch bemerkt wurde.
Sobald der Unfall festgestellt wurde, organisierten die Streifen der Dienststelle die Bergung des gesunkenen Fahrzeugs und die anschliessende Rekonstruktion des Sachverhalts. Die gesamte Situation erforderte das Einschalten verschiedener Abteilungen, Fachbereiche und Partner:innen, darunter:
- die Seepolizei der Spezialeinheit (RIS) mit Booten und Taucher:innen zur Untersuchung des gesunkenen Schiffes und dessen Absicherung,
- die Verkehrspolizei der 5. Gendarmerieabteilung für die technische Untersuchung des Verkehrsunfalls,
- die Stadtpolizei für die Sperrung des betreffenden Strassenabschnitts und die Umleitung des immer dichter werdenden Verkehrs,
- eine private Firma für die Bergung des Fahrzeugs mit Hilfe eines Krans
sowie die Feuerwehr, die Rettungskräfte des Grünen Kreuzes, Bestattungsunternehmen und verschiedene andere Organisationen. Obwohl wir von den Taucher:innen bereits informiert und somit auf das, was uns bevorstand, vorbereitet waren: Der Anblick des Fahrzeugs, das an Land gebracht wurde und in dem sich noch die Leichen der Opfer befanden, war ein unbestreitbarer Schock. Zwei junge Männer, zwei Russen, die etwas jünger waren als ich, kamen in dieser Nacht bei einem Verkehrsunfall im Ceresio-See ums Leben.
Für mich persönlich war es nicht allzu schwer, sie in diesem Zustand zu sehen. Aber es war schwer zu akzeptieren, dass innert Sekunden ein Fehler – oder wer weiss was für eine Ablenkung – zwei jungen Studenten das Leben kostete.
Wir haben hart und ununterbrochen gearbeitet, vielleicht 10 Stunden, vielleicht mehr. In solchen Fällen geht viel Zeit durch die Vielzahl der zur Klärung des Geschehens erforderlichen Erkenntnisse verloren. Das war nicht genug, ich war ein Anfänger und kam mehrmals in die Situation, dass ich Unterstützung von meinen Kolleg:innen und Vorgesetzten brauchte.
An diesem Tag empfand ich sehr starke und sehr gemischte Emotionen: vom oben beschriebenen Schock bis zum Adrenalinrausch über einen Einsatz dieser Grössenordnung, bis zur Erschöpfung am Ende der Schicht aufgrund der geleisteten Überstunden, vom Stolz über das Gefühl, dort gebraucht zu werden, wo ich arbeitete, bis zur Ohnmacht, weil ich wusste, dass ich nichts tun konnte, um diese beiden jungen Leben zu retten.
An diesem Tag habe ich viel gelernt: über das Leben, über die Arbeit, die ich mache, aber vor allem über mich selbst. Zum ersten Mal wurde mir wirklich klar, dass die Polizeiarbeit nicht nur ein Beruf ist, sondern etwas, das für die Lai:innen unverständlich ist. Vielleicht ist es mir in diesen wenigen Zeilen nicht gelungen, eine vollständige Vorstellung vom Leben in der Uniform zu vermitteln, aber ich kann Ihnen versichern, dass ich seit diesem Ereignis, bei dem ich bestimmte Gefühle am eigenen Leib verspürte, begriffen habe, was meine Berufung ist.